Vorwort Auch wenn manche Ahnungslose es immer wieder verbreiten: weder das Notwehrrecht noch der Richter erwartet im Verteidigungsfall, dass Sie sich erst schlagen lassen, bevor Sie sich wehren. Sie dürfen juristisch und müssen selbstverteidigungstechnisch mit Ihrer Verteidigung beginnen, bevor der Gegner zuschlägt. Und vergessen Sie die berüchtigten, unüberwindbaren „Wundergriffe“, mit denen Sie einen entschlossenen Angreifer bändigen, aber nicht verletzen können, diese gibt es leider nicht! Was ist Notwehr? Quelle: Rechtsanwalt lic. iur. Linus Bruhin (www.swissbudo-portal.ch) Die Notwehr ist ein Rechtfertigungsgrund, welcher die Rechtswidrigkeit einer Tat und damit die Strafbarkeit ausschliesst, obwohl durch sie ein fremdes Rechtsgut - z.B. Leib oder Leben des Angreifers - verletzt wird. Sie bildet somit die juristische Grundlage für die praktische Anwendung der körperlichen Selbstverteidigung. Der entsprechende Gesetzestext aus dem Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) lautet: Art. 15 - Rechtfertigende Notwehr Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. Art. 16 - Entschuldbare Notwehr 1 . Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr nach Artikel 15, so mildert das Gericht die Strafe. 2 . Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft. Es besteht somit ausdrücklich ein Recht auf Abwehr eines rechtwidrigen Angriffs; eine Verpflichtung zur Flucht ist nicht vorgesehen. Neben dem Angegriffenen ist auch jeder Dritte abwehrberechtigt, der dem Angegriffenen Unterstützung bieten will (Notwehrhilfe). In jedem Fall hat aber die Abwehr in einer den Umständen angemessenen Weise zu erfolgen. Die 3 Grenzen sind: a . Eine Notwehrlage besteht nur dann, wenn ein ungerechtfertigter Angriff unmittelbar bevorsteht oder noch im Gange ist. Eine “Notwehrhandlung” zu einem späteren Zeitpunkt wird zum Racheakt, welcher als Vergeltung eines bereits beendeten Angriffes nicht zulässig ist. Dazu gehört auch das Nachschlagen bei einem bereits sicher abgewehrten Aggressor, bei welchem aufgrund der Art der Abwehrtechnik nicht mehr mit einem erneuten Angriff gerechnet werden muss. Die Bereitschaft zu einer sofortigen erneuten Abwehr auch bei einem eigentlich abgewehrten Angreifer ist jedoch immer zulässig und empfohlen. Auch ist es rechtmässig, einen Täter festzuhalten, um ihn der Polizei zu übergeben. b . Der Abwehrende muss die ungefährlichste Variante der Verteidigung wählen, sofern er überhaupt verschiedene entsprechende taugliche Möglichkeiten hat (Grundsatz der Subsidiarität). c . Das durch den Angriff bedrohte und das durch die Abwehr verletzte Rechtsgut dürfen in der Regel nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zueinander stehen (Grundsatz der Proportionalität bzw. der Verhältnismässigkeit). Bei der Beurteilung dieser Anforderungen an eine Notwehrhandlung darf jedoch nicht nur auf die tatsächlichen oder gewollten Rechtsgutverletzungen abgestellt werden. Vielmehr sind die Schädigungen massgebend, mit welchen der Abwehrende aufgrund der konkreten Situation und aller Umstände zu rechnen hatte. Dabei ist auch die normalerweise geringe Überlegungszeit zu berücksichtigen. Überschreitung der Notwehr Sofern die Grenzen des Notwehrrechtes in einer Verteidigungssituation dennoch einmal überschritten wurden, liegt ein Notwehrexzess vor, d.h. die Abwehr war nicht den Umständen angemessen. Es erfolgt eine mildere Bestrafung für die dem Angreifer ungerechtfertigter Weise zugefügte übermässige Schädigung, denn diese ist rechtswidrig. Ausnahmsweise ist bei entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff eine Strafbefreiung vorgesehen. Im Fall einer Notwehrhandlung empfiehlt es sich deshalb, nachher das Erschrecken über den Angriff, die Gewaltbereitschaft und Unberechenbarkeit des Angreifers zu betonen. Auch sollte bei einem allfälligen ungewollt schwerwiegenden Ausgang der Abwehr angeführt werden, was für eine Abwehr eigentlich gewollt war, und dass die weiteren Verletzungen des Täters nicht beabsichtigt waren. Was für Abwehren sind erlaubt? Es kann keine allgemein gültige Antwort gegeben werden, was erlaubt ist bzw. wo im Einzelfall die Grenze des Verbotenen und Strafbaren liegt. Die zulässige Abwehr bei einer konkreten Attacke richtet sich nicht nur nach der tatsächlich und konkret vorhandenen Angriffshandlung, sondern berücksichtigt auch, womit der oder die Abwehrende aufgrund der weiteren Umstände der Aggression mit guten Gründen zu rechnen hatte. Somit müssen jeweils das gesamte Umfeld, die eventuelle Vorgeschichte, und die darin verwickelten Parteien samt ihrem Verhalten betrachtet werden. Dieselbe Angriffshandlung darf deshalb je nach den konkreten Umständen unterschiedlich hart abgewehrt werden. Es macht aus diesem Grund keinen grossen Sinn, auf den Tatami (Trainingsmatten) die “Verhältnismässigkeit” bewerten zu wollen, obwohl gar nicht alle entsprechenden Grundlagen bzw. das weitere Umfeld der Aggression bekannt sind. Einzig die Beendigung der Gefährdung durch den Angreifer kann in etwa beurteilt werden, durch Aufgabe oder entsprechend der angewandten Techniken, so dass das dann nicht mehr zulässige Nachschlagen bemängelt werden kann und auch soll. Im heute üblicherweise anzutreffenden Jiu-Jitsu-Training wird bei den Abwehren, im Widerspruch zu einer tatsächlichen Notwehrsituation, vielfach davon ausgegangen, dass der Aggressor deutlich den Angriff bringt, welcher dann auch abzuwehren ist. Unter dieser Voraussetzung können die Angriffe gemäss dem Stoffprogramm Jiu-Jitsu grob und nur sehr verallgemeinernd als kleine Anregung etwa so abgewehrt werden: a . Abwehr von Handgelenk-, Revers-, Oberarm-, Ärmel-, Kragen-, und Haargriffen, sowie Umklammerungen: Sofern diese Angriffe tatsächlich nicht als Vorbereitung auf eine schwerwiegendere Attacke zu gelten haben, sind sie relativ harmlos (andernfalls wäre vom mutmasslichen Folgeangriff auszugehen, auch ist die konkrete Intensität des Angriffes erschwerend zu berücksichtigen). Es ist deshalb nur eine sehr gemässigte Abwehr mittels Entwinden und allenfalls einer leichteren Schocktechnik, nötigenfalls auch eine Kontrolltechnik, angezeigt. Sicher dürfen in diesem Fall keine Techniken wie Faustschläge auf empfindliche Stellen oder Wurftechniken, bei welchen der Angreifer von hoch oder mit Schwung fällt, eingesetzt werden. Diese können jedoch durchaus gerechtfertigt sein, wenn z.B. der Angriff unvermittelt von hinten kommt, oder wenn bei einem einhändigen Angriff die freie Hand zur Faust geballt und zum Zuschlagen bereit ist. Auch dürfte dies eher der Fall sein, wenn der Angriff derart heftig vorgebracht wird, dass seitens des Aggressors von einer Weiterführung ausgegangen werden kann. b . Abwehr von Würgegriffen, Schwitzkasten, Faustschlägen und Fusstritten, sowie Abwehr von Angriffen mit Stich-, Hieb- und Faustfeuerwaffen: Diese Angriffe können durchaus einen Angriff auf das Leben des Opfers darstellen, auch wenn im Einzelfall nicht immer eine Tötung beabsichtigt sein muss. Jedenfalls braucht der bzw. die Abwehrende keine Hemmungen betreffend der möglichen Folgen einer Abwehrtechnik zu haben. Hinzu kommt, dass in der Regel schnell reagiert und der Angreifer sicher abgewehrt werden muss. Je nach Technik oder Intensität des Angriffes kann hier im Sinne der konsequenten Abwehr sogar durchaus ein - wohlgemerkt einmaliges - gezieltes Nachschlagen gerechtfertigt sein, noch bevor der vorgängig zu Boden geworfene Angreifer wieder Anstalten zum Aufstehen trifft. Bedingung dafür ist jedoch, dass der an sich vorerst abgewehrte Aggressor überhaupt noch in der Lage ist, einen erneuten Angriff zu unternehmen. Wenn jedoch der Angriff vorbei ist, so ist auch die Notwehrsituation beendet und dem Aggressor darf nicht mehr neuer Schaden zugefügt werden. Die Bereitschaft zur sofortigen erneuten Abwehr eines allfällig dennoch wieder einsetzenden Angriffes ist jedoch durchaus legal und ratsam. Kampfsportrecht Die gesetzlichen Bestimmungen über die Notwehr erlauben als Rechtfertigungsgrund die ansonsten rechtswidrige Verletzung eines Angreifers, um sich selbst oder jemanden anders zu schützen. Dabei stehen die Verteidigung und eine sichere Abwehr gegen den mutmasslichen Angriff im Vordergrund. Erst wenn diese sichergestellt bzw. erfolgt sind, darf der Angreifer nicht mehr weiter geschädigt werden. Er stellt dann keine Gefahr mehr dar, und damit fehlt der Rechtfertigungsgrund für ein weitergehendes Eingreifen in seine Rechtsgüter. Sowohl im Training, wie auch an einer Prüfung oder in einem eventuellen Ernstfall ist deshalb darauf zu achten, einen Angriff konsequent und der gesamten Bedrohungslage entsprechend abzuwehren. Die sichere Abwehr geht vor. Wenn die Gefährdung dann aber abgewendet ist, so darf dem Angreifer auch kein neuer Schaden - z.B. durch Nachschlagen - zugefügt werden. Dies ist dann durch das Notwehrrecht nicht mehr gedeckt und somit grundsätzlich strafbar, sofern die Überschreitung der Grenzen der Notwehr nicht durch Aufregung oder Bestürzung über den Angriff verursacht wurde. Aufgrund der wenigen einschlägigen Strafurteile muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die entsprechende Toleranz in der Praxis relativ gross ist. Einem Budoka, der sich mit den seriös erlernten Techniken gegen einen rechtswidrigen Angriff zur Wehr setzt, sollten deshalb keine ernstzunehmenden strafrechtlichen Folgen drohen. Quelle: www.safety4you.ch Auszüge aus „Pallas“ Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen Ohne Recht angegriffen … Gegen Massnahmen der Behörden, beispielsweise eine Verhaftung durch die Polizei, ist keine Notwehr erlaubt. Kein Recht auf Notwehr besteht, wenn der Angriff vorsätzlich provoziert wurde. Unmittelbar mit einem Angriff bedroht … Niemand braucht einen Kinnhaken abzuwarten, sondern darf mit einem Gegenangriff zuvorkommen. Der Überraschungseffekt ist eine der wenigen Möglichkeiten, einen starken Angreifer zu besiegen. Den Umständen angemessene Weise … Wer sich gegen einen stärkeren oder bewaffneten Angreifer nur mit blossen Händen und Füssen wehrt, braucht sich über gesetzliche Folgen keine Gedanken zu machen. Wer dazu eine Waffe - oder improvisierte Waffe - den Umständen angemessen einsetzt, hat ebenfalls keine Probleme. Das bezeugen Gerichtsentscheide. Grenzen der Notwehr … Die Notwehrsituation besteht solange, wie der Angriff dauert. Rache und Vergeltung erlaubt das Gesetz nicht. Jedoch darf ein Angreifer adäquat ausser Gefecht gesetzt werden, wenn damit ein sofortiger Zweitangriff oder eine Verfolgung verhindert werden muss. In entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung … Angst - ja sogar Todesangst - empfinden alle, die von einer Übermacht - von einem stärkeren, einem bewaffneten oder mehreren Tätern - angegriffen werden. Wer unter starkem psychischen Stress die Grenzen der Notwehr überschreitet, bleibt straflos. Putativnotwehr Folgt z.B. ein Mann einer Frau nachts ohne klaren Grund - obwohl sie bewusst die Richtung wechselte - muss sie mit einem Überfall rechnen und ist zum Gegenangriff berechtigt. Putativnotwehr kann in missverständlichen Situationen auch eine irrtümliche Verteidigung tolerieren. Putativnotwehr (von lat. putare, „glauben“, „meinen“) ist ein Begriff aus dem Strafrecht, genauer der allgemeinen Strafrechtslehre. Wie der Begriff sagt, liegt hier gerade keine Notwehr vor. Der Täter geht lediglich irrig davon aus, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr bei dem vermeintlichen Angriff gegeben seien (Quelle dieses Abschnitts: www.wikipedia.de). Schlusswort Der beste Kampf ist immer noch derjenige, der nicht stattfindet. Darum, wenn immer möglich, einem Kampf aus dem Weg gehen.